Home  Kunst  Cafe  Druck  Ausstellung  Stuttgart  Design   <   click   >   ?


Originalbeitrag: Computerkunst-Entwicklung  |  Zurück

Neo

eingestellt mit freundlicher Genehmigung des Autors

Computerkunst – ein Rückblick

Herbert W. Franke

Ein halbes Jahrhundert ist es her, dass in Galerien zum ersten Mal Bilder auftauchten, die als ‚Computerkunst’ bezeichnet wurden. In dem Begriff steckt eine Provokation: Sollte das "Elektronenhirn", wie man den Computer damals häufig nannte, wirklich fähig sein, Kunstwerke hervorzubringen? Manche Künstler befürchteten bereits, arbeitslos zu werden, und Kritiker sahen uralte kulturelle Werte in Frage gestellt. Eine Kunst aus der Maschine! - das widersprach dem Mythos vom Genie, das seine Werke aus tiefgründigen geistigen Eingebungen heraus schafft. So konnte man damals mit der Neugier breiter Kreise rechnen, die der Ausstellung Besucher zuführen würde, aber niemand hat ernsthaft damit gerechnet, dass die Diskussionen Jahrzehnte lang anhalten würden.

Der Begriff war allerdings nicht nur provokant gemeint, sondern weist in völlig sachlicher Weise auf die neue Gestaltungsmethode: ein neues Instrument, das sich offenbar in den Dienst der Kunst stellen lässt. Das ist der interessante Aspekt an den gezeigten Arbeiten, und es ist sinnvoll, darauf hinzuweisen, weil sein Gebrauch bestimmte Eigenheiten der Gestaltungsweise und im Ergebnis mit sich bringt. Das ist bei den Begriffen ‚Klavierkonzert’ oder ‚Blasmusik’ auch nicht anders.

Was die Computerkünstler damals zu bieten hatten, waren meist nur einfache Strichzeichnungen in Schwarz und Weiß, auf den ersten Blick dem Konstruktivismus verhaftet. Bei näherer Betrachtung fallen allerdings einige Unterschiede ins Auge, beispielsweise eine Anlehnung an die Mathematik oder der häufige Einsatz stochastischer Elemente - Abweichungen von der strikten Ordnung zum Zufälligen hin, was den Bildern einen Anflug organischer Strukturen verleiht. Damit wiesen schon diese ersten Beispiele der frei gestalteten Computergrafik etwas auf, was noch Jahrzehnte später tragendes Gestaltungsprinzip der computergenerierten Bilder sein sollte. Trotzdem war es damals schwer, in diesen Erzeugnissen mehr zu erkennen als simple Überlagerungen gerader Striche – ein Umstand, der natürlich an den damals noch primitiven Geräten, den Computern und mechanischen Zeichenautomaten, lag.

Was war es aber, was die Pioniere zu ihren Experimenten veranlasste? Schon in der ersten Stunde boten die Geräte etwas faszinierend Neues, ersetzten sie doch die menschliche Hand durch eine Mechanik, die weitaus schneller arbeitet als der Mensch, vor allem aber mit manuell nicht erreichbarer Präzision. Weiter stand in Form der Programme erstmalig in der Geschichte der bildenden Kunst ein grafisches Beschreibungssystem zu Verfügung; es war den Noten der Musik vergleichbar, übertraf diese aber durch die Tatsache, dass aus dem Programmcode auch das generative Prinzip, die in den Bildern manifestierte Ordnung, zu ersehen ist. Schon diese systemimmanenten Eigenschaften waren reizvoll genug, und sie betrafen nicht nur die Theorie, sondern auch die Praxis: Für bestimmte Anordnungen von grafischen Elementen, Reihungen, Überlagerungen u. dergl., ist die konventionelle Arbeitsweise viel zu ungenau, doch nun ließen sich solche Darstellungen ohne nennenswerten Zeitaufwand und mit aller gewünschten Genauigkeit erstellen; trotz aller Mängel war es also mit Hilfe des neuen Instrumentariums schon am Beginn möglich, den Gestaltungsraum zu erweitern, und viele der frühen Bilder deuteten das an.

Diesen bescheidenen Erfolgen gegenüber kamen aber noch andere, schwerer wiegende Impulse hinzu, die sich an die Zukunft knüpften. Zunächst einmal bestand bei den Künstlern und Veranstaltern kein Zweifel daran, dass bald bessere technische Hilfsmittel entwickelt werden würden, und das natürlich nicht den Künstlern zuliebe, sondern weil sich die computergrafische Methode auch für verschiedenste technische und wissenschaftliche Zwecke eignete. Der Trend der technischen Entwicklung war vorgegeben:

Geschwindigkeit und Präzision der Geräte wurden verbessert.

Die Farbpalette wurde erweitert.

Die Auflösung wurde gesteigert.

Gerade der letzte Punkt erschien wichtig: Wenn es erst gelingen würde, die grafischen Elemente, die Bildpunkte, unter die Sichtgrenze des menschlichen Auges hinaus zu verkleinern, dann sollten sich mit Hilfe von Bildrastern auch Grauwert- und Farbverläufe wiedergeben lassen, und das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass man mit Computergrafik beliebig komplizierte Figuren, Szenerien darstellen kann. Die Erwartung erfüllte sich einige Jahre später mit dem Übergang vom mechanischen Zeichengerät, dem Plotter, zum Monitor. Dieser Übergang bedeutete einen entscheidenden Fortschritt, es bleibt aber festzustellen, dass viele der grundlegenden Prinzipien, an denen das Neue der Computerkunst deutlich wird, schon im Plotterzeitalter ausgearbeitet wurden.

Einer der Fortschritte betrifft etwas so Einfaches wie die Geschwindigkeit, mit der die Grafik erzeugt wird. Hinweise darauf wurden von den Kritikern oft mit dem Hinweis abgetan, dass es sich dabei um eine quantitative Größe handelt, etwas, was vielleicht in der Technik, aber nicht in der Kunst bedeutsam sei: Mit etwas mehr Zeitaufwand ließe sich jede Computergrafik auch manuell erstellen, und das sei ein Beweis dafür, dass die neue Methode nichts prinzipiell Neues und Wertvolles hervorbringen könne. Genau das sollte sich als schwere Fehleinschätzung erweisen. Man muss sich vor Augen halten, dass schon bei den ersten Computergrafiksystemen das Verhältnis zwischen den für die Generierungsphasen benötigten Zeiten unangemessen erschien: Während der Computer für die Berechnung der Grafik nun Sekunden brauchte, musste man auf die Erstellung der Zeichnung mit Hilfe eines programmgesteuerten Zeichensystems oft 20 bis 30 Minuten warten. Erst mit dem Monitor wurde ein Ausgabeinstrument verfügbar, bei dem die Ausführung der Zeichnung nur Bruchteile von Sekunden erforderte. Und genau damit ließen sich die von den Pionieren erhofften erweiterten Darstellungsmöglichkeiten realisieren:

Übergang zur Animation: Infolge der Geschwindigkeit des Bildaufbaus eignen sich Programme für unmittelbare (so genannte Echtzeit-) Ausgabe von Filmen.

Übergang zur Interaktivität: Infolge der praktisch unverzögerten Reaktion des Systems auf Eingaben – über Druckknöpfe, Tasten, Steuerhebel usw. - wurde das Bild vom Benutzer beeinflussbar.

Damit ist der entscheidende Schritt weg vom vorgefertigten Werk getan: Das Resultat ist flexibel, es schließt viele, oft unübersehbare Variationen in sich ein, es macht den Beschauer zu einem aktiven Teilnehmer am Prozess, zu dem es geworden ist. Alles das erfolgt Hand in Hand mit einer Abkehr vom materiellen Kunstwerk, an seine Stelle tritt etwas elektronisch Aktivierbares, Flexibles und Veränderliches. Und genau das bringt es überdies mit sich, dass es nun in digitalen Speichern, beispielsweise einer CD, aufbewahrt werden kann und dass es sich über elektrische Leitungen oder über Funk transportieren lässt. Hält man sich das vor Augen, dann kann man an der Tatsache nicht mehr vorübergehen, dass damit eine völlig neue Ebene der bildenden Kunst erreicht wurde. Die dadurch induzierten Veränderungen reichen weit über die Aspekte der Gestaltung hinaus:

Computergrafik in all ihren Spielarten stellt den Begriff des Originals infrage. Setzt er einen Zufallsgenerator ein, dann kann selbst der Urheber nicht voraussehen, was entstehen wird.

Diese Art von bildender Kunst, ob unbewegt, animiert oder interaktiv, lässt sich beliebig vervielfältigen, u. zw. mit der Qualität des Originals (soweit man noch von einem solchen sprechen kann).

Diese Bilder werfen die Frage der Bewertung neu auf. Manchmal sind Kriterien des Films oder der Objektkunst anwendbar, darüber hinaus aber bedarf es eines neuen Kanons für die Beurteilung bisher im Kunstbereich kaum aufgetretener Spezifika.

Diese Art von Kunst macht die Grenzen zwischen ihren Bereichen illusorisch; so kann man beispielsweise mit ein und demselben Programm zugleich laufende Bilder und dazugehörige Musik ausgeben.

Computergrafik verlangt neue Wege der Kommunikation, beispielsweise über das Internet; die klassische Galerie kann sie kaum vermitteln.

Computergrafik erfordert andere Arten des Vertriebs und der Honorierung; die Modalitäten lehnen sich eher an jene der Musik an als an die des althergebrachten Kunsthandels.

Computergrafik zwingt zu neuen Methoden der Vermittlung, vor allem im Unterricht.

Computergrafik lässt sich sehr leicht in triviale Bereiche überführen – die Grenzen zur Wissenschaft und zum Design sind fließend.

Natürlich ist es in der Rückschau leicht, alle diese Konsequenzen zu benennen und zu überschauen, jedoch ein Blick in die Literatur der frühen Jahre, von 1965 bis zur Einführung des Monitors rund zehn Jahre später, beweist, dass die Protagonisten der neuen computerbasierten Kunst vieles davon vorausgesehen haben. Sie fassten ihre Art der Gestaltung keineswegs als vorübergehende Mode auf, sondern als Wende in der Geschichte der Kunst.

Einschätzungen dieser Art konnten in der Anfangszeit freilich nur für jene diskutabel sein, die auch Kenntnisse über die technischen Grundlagen des Computers hatten, und zudem genügend Phantasie, um sich auch die weitere Entwicklung vorzustellen. So war es nicht weiter erstaunlich, dass von vielen Seiten erbitterter Widerspruch kam. Was heute – nicht zuletzt als Basis und Ausgangspunkt der weit verbreiteten Medienkunst – selbstverständlich erscheint, war damals ein Experiment mit unsicherem Ausgang. Es dauerte rund 40 Jahre, bis der Computer als legitimes Instrument der künstlerischen Gestaltung anerkannt wurde. Als einen überzeugenden Beweis dafür kann man es auffassen, dass heute in Ausstellungen aktueller visueller Kunst immer öfter Bilder auftauchen, die mit Hilfe von Computern zustande kamen. Und dass man das oft nicht einmal mehr erwähnenswert findet.





---> Sie sehen einen technisch vereinfachten Auszug aus dem Kunstcafe, einem Forum für Digitale Kunst.
Bitte besuchen Sie unsere Startseite, oder gehen zum Originalbeitrag: Computerkunst-Entwicklung